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Shirin Yakub

Interkulturelle Dolmetscherin beim SAH

Eine gesunde Familie ist das Wichtigste

Wir haben in Syrien in einer Stadt an der Grenze zur Türkei und dem Irak gewohnt. Mein Mann Rustam hat als Maler gearbeitet, danach führte er für zehn Jahre ein Kleidergeschäft. Ich habe eine Ausbildung als Bankkauffrau gemacht, durfte aber nicht als solche arbeiten, weil ich Kurdin bin. Ich habe dann einen Weg gefunden, im Stundenlohn als Mathematiklehrerin zu arbeiten.

Der Weg in die Schweiz

Eines nachts ist mein Schwager zu mir und Liloz gekommen und hat gesagt, dass wir gehen müssen. Ich habe nur einen Pyjama für Liloz und mich eingepackt, ging davon aus, dass wir Rustam besuchen. Er musste sich verstecken, weil er politisch aktiv war und von der Regierung verfolgt wurde.

Als wir unterwegs waren, hat mein Schwager gesagt: Ihr flieht. Das war ein Schock für mich. Ich denke oft daran zurück und es tut mir so weh, weil ich, ohne mich von meiner Familie zu verabschieden, weggegangen bin. Familie ist für mich alles. Die Reise in die Schweiz war lange und dunkel. Wir durften keine Fragen stellen, wussten nicht, wohin uns die Reise führen würde. Plötzlich sind wir an einer Tür angekommen und es hiess: Ihr seid in der Schweiz.

Zehn Tage waren wir in Basel im Asylzentrum, danach wurden wir nach Schaffhausen versetzt. Bei der Anreise sind wir am Rheinfall vorbeigefahren – so etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Beim Stadthaus haben wir uns mit einem Mann getroffen, der uns ins Durchgangszentrum nach Buch gebracht hat. Ich weiss nicht mehr, wie wir uns verständigt haben; weder Rustam noch ich konnten Deutsch oder Englisch sprechen. Trotzdem haben wir uns verstanden. Nach einer kurzen Fahrt sind wir in Buch und somit in unserem neuen Leben in der Schweiz angekommen.

«Für mich liegt der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration bei der Sprache und beim Willen jedes einzelnen. Wir müssen die Türen, denen wir begegnen, öffnen, nachfragen und immer weitergehen.»
– Shirin Yakub

Ein schwieriger Start

Ich fiel in ein Loch. Ich hatte alles hinter mir gelassen, mein Haus, meine Bildung, Familie, Freunde. Die Zeit in Buch war sehr schwierig für mich, auch heute noch. Am Anfang des Asylverfahrens hat man das Gefühl, dass man kein Mensch ist. Man versteht die Sprache nicht; die Blicke, die einem zugeworfen werden – man fühlt sich wie ein Tier. Als wir die Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, haben wir uns gesagt: Jetzt haben wir etwas, nun müssen wir das Netz weiterspinnen. Das Heimweh war für mich ein Motiv, mich zurechtzufinden, ich wollte kämpfen.

Damals war der Integrationsprozess noch nicht so weit wie heute. Die Bewilligung für einen Deutschkurs liess auf sich warten, es ging zwei Jahre, bis wir anfangen durften, Deutsch zu lernen. Früher wurden oftmals auch keine Dolmetschenden organisiert, was die Kommunikation mit Betreuern schwieriger machte. Sipan kam auf die Welt, als wir ganz neu in der Schweiz waren und seine Geburt war schwierig; obwohl die Hebammen nett und hilfsbereit waren, habe ich sie nicht verstanden und ich konnte ihnen nicht sagen, wo es weh tut. Doch auch das haben wir gemeistert.

Aus unserer Sicht sind das Lernen der Sprache und der eigene Wille die wichtigsten Schritte in Richtung einer erfolgreichen Integration. Wenn man nur negativ über das Land spricht und nicht offen ist, wird man sich nie integrieren.

Meine Arbeit als interkulturelle Dolmetscherin

Seit 2014 arbeite ich als interkulturelle Dolmetscherin beim SAH Schaffhausen. Ich dolmetsche die Sprachen Arabisch, Kurdisch Kurmanci und Kurdisch Badini. Die Arbeit als interkulturelle Dolmetscherin beim SAH ist wie ein Garten. Es gibt verschiedene Blumen und Bäume und trotz der Schönheit der einen Blumen kann man sich daran verletzen. Die Personen, die ich unterstütze, haben dieselbe Geschichte wie ich auch.

Das macht es einerseits spannend, andererseits aber auch traurig. Manchmal nehme ich es automatisch persönlich. Meist kann ich mich gut abgrenzen, in einzelnen Fällen, wenn die Geschichten sehr schlimm sind und sie mir sehr nahegehen, bin ich froh, wenn ich die Supervision beim SAH Schaffhausen besuchen kann.

Mein ganzer Stolz

Heute gibt es viele Sachen, auf die ich stolz bin. Ich bin stolz auf meine Kinder, die alle gute Schüler sind. Ich bin stolz, dass wir seit fast fünf Jahren von der Sozialhilfe unabhängig sind. Die Sozialhilfe macht die Psyche kaputt. In der Heimat hast du einen Job, sogar ein Geschäft, einen Lohn und ein Haus und dann musst du fliehen und hast gar nichts mehr. Du bist auf die Sozialhilfe ange-wiesen und mit dieser ist man sehr eingeschränkt. Einige Leute haben zu Beginn unsere Motivation gesenkt, weil sie meinten, dass wir die Sprache nie richtig lernen würden oder in der Schweiz nie Steuern bezahlen werden. Nun bin ich stolz, dass ich das mit meinem Mann erreicht habe. Ohne ihn hätte ich das auch nicht geschafft.

«Für die Zukunft wünschen wir uns, dass Corona weggeht und die Normalität wieder zurückkommt. Natürlich wünschen wir uns auch Gesundheit für unsere Familie und dass wir bald den Schweizer Pass in unseren Händen halten dürfen. Zudem möchten wir sehr gerne unsere Familien wieder mal sehen, aber ob und wann das möglich sein wird, steht in den Sternen.»
– Shirin Yakub

Wir möchten Schweizer werden

Die Schweiz hat uns viel gelehrt. Neben der Pünktlichkeit und guten Organisation gibt es noch weitere Dinge, die in Syrien anders laufen. Beispielsweise habe ich in Syrien zwar gearbeitet, im Haushalt gibt es jedoch Arbeiten, die nur Frauen erledigen. Hier haben wir gelernt, dass nicht nur Frauen zum Haushalt
gehören, sondern auch Männer. Unsere Kinder helfen im Haushalt mit, räumen auf oder nehmen den Staubsauger zur Hand. Mein Mann war aber auch in Syrien hilfsbereit und hat mich zu Hause unterstützt.

Wir sind gerade mitten im Einbürgerungsprozess, der sich durch Corona leider in die Länge zieht. Wir warten eigentlich nur noch auf den Termin für das Einbürgerungsgespräch, wir haben uns gut vorbereitet und freuen uns. Wir möchten Schweizer werden, weil wir schon lange hier sind und zur Schweiz gehören – auch wenn wir schmunzeln müssen, wenn die Schweizer*innen im Restaurant separat bezahlen wollen. Das sind wir uns von zu Hause nicht gewohnt. Obwohl wir vor 13 Jahren nicht wussten, wo uns unser Weg hinführen wird, sind wir froh, dass wir in der Schweiz angekommen sind.